Flüchtlingskongress in Bocholt mit 270 Teilnehmern: „Wir können das auch“
Bocholt. Weit vor Beginn strömten die Gäste des Flüchtlingskongresses „Zuwanderung verändert Europa, Zuwanderung verändert Bocholt! – Was jetzt zu tun ist“ in die Mensa am Quartiercampus Benölkenplatz in Bocholt. „Wir haben 255 Anmeldungen, es sind über 270 gekommen“, freute sich Organisator Lukas Kwiatkowski von der Entwicklungs- und Betriebsgesellschaft der Stadt Bocholt (EWIBO) über den Zuspruch. Gemeinsam mit der Stadt Bocholt und dem Europe Direct-Informationszentrum Bocholt richtete die EWIBO einen großen Flüchtlingskongress aus.
Gastredner Frank Burgdörfer, Bocholts Sozialdezernent Ludger Triphaus und EWIBO-Geschäftsführer Berthold Klein-Schmeink berichteten in Impulsreferaten über die Situation in Europa, in Bocholt und die lokalen Maßnahmen. Anschließend wurden in den sieben Foren „Sprache“, „Arbeit und Beruf“, „Bildung und Erziehung“, „Kultur und Glaube“, „Nachbarschaft und Wohnen“, „Sport und Gesundheit“ sowie „Ehrenamt“ mit den Teilnehmern diskutiert.
Bildergalerie: Impressionen vom Flüchtlingskongress am 4.4.2016 – Fotos: Bruno Wansing, bocholt.de
„Deutschland kann das, wir können das auch“!
Das sagte Kwiatkowski in seinen einführenden Worten zu den Anwesenden. Hanni Kammler, zweite stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt Bocholt, wünschte sich eine vielfältige Stadt. „Je vielfältiger der Querschnitt der Bevölkerung ist, desto kreativer sind auch die Antworten auf die Fragen, die sich in der heutigen Zeit der Gesellschaft stellen“, betonte Kammler.
Herausforderungen in Europa die gleichen wie in Bocholt
Gastredner Frank Burgdörfer vom „Team Europa Berlin“ betonte, dass die Herausforderungen in Europa die gleichen seien, wie in Bocholt. Burgdörfer ging auf die Geschichte der Migrationspolitik Europas ein, angefangen von den Ideen zum Schengen-Abkommen im Jahr 1985 über die Dublin-Verordnung und die Migrationsagenda von Juncker im Jahre 2014 bis hin zur Westbalkan-Konferenz Ende Februar 2016.
„Im Endeffekt gibt es zwei Fraktionen, zwei Lager“, sagte Burgdörfer. „Die einen wollen etwas gegen die Merkelsche „Pull-Politik“ tun, die anderen wollen die Normen und die europäische Idee bewahren“. Akzeptanz und Grenzkontrollen seien dabei zwei Begriffe, die völlig unterschiedlich ausgelegt würden. „Und keine Seite ist konsequent“, urteilte Burgdörfer. „Frau Merkel ist irgendwann von der Abschiebungsseite auf die humanitäre Seite gewechselt, hat aber dann die Bremse angezogen, als es schwierig wurde“. Und auch Orban in Ungarn mogele sich so durch: „Auf der einen Seite macht er die Grenzen zu, auf der anderen Seite hat er Angst davor, Schengen zu gefährden.“
Gegenseitige Blockade
Die EU habe das Problem, dass jede Entscheidung, die sie fälle, zu einer Richtungsentscheidung werde. Das mache es laut Burgdörfer noch schwieriger, die Entscheidung überhaupt zu fällen. „Keiner in Europa ist stark genug, den anderen seinen Willen aufzuzwingen“, betonte er. Entscheidungen in Flüchtlingsfragen zu treffen, sei so deshalb schwer, weil die EU zurzeit „furchtbar sei: Furchtbar groß, furchtbar heterogen und furchtbar unter Zeitdruck“.
Liberaler Traum – autoritärer Traum
Europa habe den liberalen Traum, andere arbeiteten in ihrem „Schwarz-Weiß“- und „Richtig-Falsch“-Denken aber schwer dagegen. „Wir brauchen ein Maximum an Dialog-Bereitschaft, das geht an die Substanz“, sagte Burgdörfer. Ein „guter Wille“ auf allen Seiten vorausgesetzt, müsse man gemeinsam zeigen, „dass es geht.“ Seine Empfehlung: „Kompromissbereitschaft, zuhören, Situationen anerkennen und Lösungen finden, die halbwegs allen gerecht werden.“
Ehrenamt nicht überfordern
Auf die Situation und die Entwicklung in Bocholt ging Bocholts Sozialdezernent und Stadtkämmerer Ludger Triphaus ein. „Wir haben mit vielen Beteiligten Probleme erkannt und gelöst“, sagte Triphaus. „Aus der gesamten Situation hat sich schnell großes ehrenamtliches Engagement entwickelt. Mein Dank gilt den vielen ehrenamtlichen Helfern, aber natürlich auch den hauptamtlichen Kräften in den städtischen Fachbereichen, bei der EWIBO und der Feuerwehr.“
„Nur so werden wir bunt“
202 Landes- und 872 kommunale Flüchtlinge würden derzeit in Bocholt betreut, für diese gelte es einen ganzen Katalog von Punkten zu gewährleisten. Von „Bildungsgängen für alle Schichten“, „Deutsch lernen“, „Besprechen der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ über „Wohnraum für alle“ bis hin zu „dezentralen attraktiven Wohnquartieren“ und „Integration von Flüchtlingen im Stadtgebiet“ stünden noch große Aufgaben vor allen Beteiligten. Triphaus: „Aber nur so werden wir bunt, und das geht ohne die entsprechende Manpower nicht; wir können das nicht den Ehrenamtlichen alleine überlassen, wir dürfen dieses tolle Engagement nicht überfordern.“
Unterschied zwischen Inklusion und Integration
Berthold Klein-Schmeink, Geschäftsführer der EWIBO, fand einen anderen Ansatz in seinem Impulsvortrag. „Um ein Kind großzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf“, zitierte er ein afrikanisches Sprichwort. „Wenn wir von Inklusion von Flüchtlingen sprechen, reden wir davon, dass ein jeder, der hier lebt, Teil eines gesamten Systems ist“, sagte Klein-Schmeink. Bei dem Begriff Integration gehe es eher darum, dass auf der einen Seite die Bocholter Stadtgesellschaft stehe und auf der anderen Seite die Personen, die sich anpassen müssten. „Bei uns drängt sich die Inklusion geradezu auf“, schlussfolgerte Klein-Schmeink. „Wir wollen den Flüchtlingen mit Respekt begegnen und Toleranz zeigen auch da, wo was mal nicht so läuft, wie wir das gewohnt sind.“ Auch Klein-Schmeink betonte, wie wichtig es sei, ehrenamtliche Strukturen zu bündeln: „Wir müssen weg von der Zuständigkeit hin zur Verantwortung, dann sind wir auf einem guten Weg zu einer vielfältigen Stadtgesellschaft Bocholt.“
Verzahnung und Koordinierung gewünscht
In den anschließenden sieben Foren wurde von den Teilnehmern einhellig eine stärkere Verzahnung und Koordinierung erwünscht. In den Foren wurde der Wunsch geäußert, im Rahmen eines Runden Tisches weiter an den Themen arbeiten zu wollen und vor allem an der Umsetzung der verschiedenen Themen mitzuwirken. Dieses wird zeitnah von der EWIBO koordiniert. (mid)